Können wir nicht anders?
Heidi Luft • Heidi Luft zu Gerhard Roth und Nicole Strüber (Last Update: 18.02.2015)
HEIDI LUFT, im Januar
2015
Woher kommt meine
Begeisterung für dieses Buch? Nach einem Radio-Interview mit den
beiden Autoren war mein Interesse geweckt, das Wort „Seele“
im Titel machte mich neugierig.
Es ist ein
wissenschaftliches Buch, ein äußerst komplexer Text, den
ich natürlich nicht in seiner detaillierten Wissenschaftlichkeit
nachvollziehen kann. So werde ich nur von meinem „Ertrag“
aus dieser Lektüre sprechen können, das sind Sätze wie
die folgenden:
SEELE = Gesamtheit
der Vorgänge, die sich im menschlichen bewussten,
vorbewusst-intuitiven und unbewussten Fühlen, Denken, Handeln
und Wollen ausdrücken. Die so definierte Seele ist nach aller
verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnis untrennbar an
Hirnfunktionen gebunden.
Die Individualität
eines Menschen besteht demnach aus einer jeweils einzigartigen
Kombination solcher Merkmale, die sich in stärkerer oder
schwächerer Ausprägung bei allen Menschen finden.
Diese Merkmale werden
im Kapitel 5 „Persönlichkeitsentwicklung“ genannt:
Aus den
Big-five-Merkmalen
Neurotizismus,
Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit
werden zusammengefasst als STABILITÄT
Extraversion und
Offenheit/ Intellekt werden zusammengefasst
als PLASTIZITÄT
Gerhard Roth und Nicole
Strüber bevorzugen folgende 6
psychoneuronale Grundsysteme, weil sie zu
diesen 6 Grundsystemen die Wechselwirkungen mit den jeweiligen
Modulatoren kennen und sie beschreiben können.
Stressverarbeitung
(Neuropeptid CRF-Cortisol)
Selbstberuhigung
(Neuromodulator Serotonin)
Belohnungserwartung/
Lust-Unlust-Gedächtnis,( Opioide, Dopamin)
Impulshemmung
Bindung (Neuropeptid
Oxytocin)
Realitätssinn
(Noradrenalin, Acetylcholin)
Die
genetisch-epigenetische Ausstattung eines Menschen und der Verlauf
der Ontogenese von Nervensystem und Gehirn geben den Rahmen vor, in
dem die vorgeburtliche und nachgeburtliche Umwelt auf die sich
entwickelnde Psyche und Persönlichkeit einwirken kann. Dass
diese Umwelteinflüsse zum Teil verändernd in die
epigenetische Ausstattung eingreifen und so an die nächste
Generation weitergegeben werden können, eröffnet eine
völlig neue Sicht der Entwicklung von Psyche und Persönlichkeit.
Damit löst sich
das alte Anlage-Umwelt-Problem auf, und zugleich ermöglicht
dies ein ganz neues Verständnis von der Entstehung psychischer
Erkrankungen.
Kapitel 6:
Bewusstsein, Vorbewusstes, Unbewusstes
GROSSHIRNRIDE
(Cortex) als Sitz des Gedächtnisses
Was einmal bewusst
war, aber nicht im Langzeitgedächtnis gespeichert wird, gehört
damit zum Unbewussten. Inhalte,
die nicht im Langzeitgedächtnis stehen, können somit unter
keinen Umständen bewusst gemacht werden.
Alle Wahrnehmungen/
Reize werden für 200 300 Millisec .zunächst unbewusst
verarbeitet. Viele sind zu kurz/ zu schwach, um den Cortex in der
Weise zu aktivieren, die für das bewusste Erleben notwendig ist.
Das
hervorstechendste Merkmal von Bewusstsein ist ja gerade, dass es
ausschließlich demjenigen, der Bewusstsein hat, direkt
zugänglich ist.. Dies nennt man den privaten Charakter des
Bewusstseins oder die „Erste-Person-Perspektive“.
Von außen ist ein
Bewusstseinszustand aber an Verhaltensweisen erkennbar: Verhalten ist
kontrolliert. Dinge können richtig beschrieben, Mitteilungen
korrekt wiederholt werden etc., denn von unbewussten Wahrnehmungen
kann man nichts berichten.
Aktualbewusstsein
Sinneswahrnehmungen der
Umwelt, des eigenen Körpers
Mentale Zustände
und Tätigkeiten: denken, vorstellen, erinnern
Emotionen, Affekte,
Bedürfniszustände
Hintergrundbewusstsein
Erleben der eigenen
Identität und Kontinuität
„Meinigkeit“
des eigenen Körpers
Autorschaft und
Kontrolle der eigenen Handlungen und mentalen Akte
Verortung des Selbst
Realitätscharakter
von Erlebtem
Aufmerksamkeit
ist eine Steigerung konkreter Bewusstseinszustände,
bottom-up-Kontrolle:
durch auffällige, unerwartete Erlebnisse
top-down-Kontrolle:
durch willentliche Fokussierung, innere Erwartung
Zusammenfassung
Kapitel 6
Bewusstseinsprozesse
haben eine spezielle Funktion: Sie schaffen einen mentalen und
virtuellen Raum, in dem Körper, Welt und Ich direkt, ohne
Vermittlung des Gehirns miteinander zu agieren scheinen.
Das Gehirn selbst
ist unbewusst tätig, aber es ermöglicht Prozesse, die Geist
und Bewusstsein entstehen lassen.
Geist und
Bewusstsein ermöglichen dem Menschen komplexe
Informationsverarbeitung, vielschichtiges Problemlösen,
langfristige Handlungsplanung und Speicherung im Langzeitgedächtnis.
Der Umstand, dass
uns nur weniges von dem bewusst ist, was unser Fühlen, Denken
und Handeln bestimmt, stellt eine Grundtatsache des Psychischen dar.
Der Mensch meint (glaubt, wünscht), dass Geist/ Wille und
Bewusstsein/ Verstand sein Handeln steuern, aber Geist und
Bewusstsein selbst entstehen unbewusst – geprägt durch
Gene und Umwelt und die Zufälle der jeweils biologischen und
psychischen Entwicklung. Alle Entscheidungen erfolgen immer in den
Bahnen unserer Persönlichkeit und Erfahrungen.
In einem Interview
sagte Herr Roth wortwörtlich:“
Menschen können nichts dafür, dass sie so sind, wie sie
sind. Denn sie können nichts für ihre Entwicklung von
Geburt an. Man wird sie auch nicht wesentlich ändern können
ff“. „ Auch der Mensch selbst ändert sich durch
Einsicht nicht. Appell an die Vernunft läuft ins Leere. Für
eine Änderung bedarf es einer hohen Belohnungserwartung (=hoher
Endorphin- und Dopaminspiegel)“.
Interessant ist in
diesem Zusammenhang auch die Aussage auf Seite 383, dass “keineswegs
allein mit dem kognitiven Vorsatz, besonders humorvoll oder positiv
denkend sein zu wollen, können die Auswirkungen einer
traumatischen Erfahrung vermindert oder gar beseitigt werden“.
Nicht die Gedanken
bedingen die Emotionen, sondern die Emotionen rufen die Gedanken
hervor! (Seite 377/378 und 383/384)
Denn die
Emotionen-Prägung geschieht sehr früh, vorgeburtlich bis
zum 3.Lebensjahr. Der Verstand jedoch bildet sich erst später
aus – bis zum 20. Lebensjahr.
Wir sehen das
Geistig-Psychische als einen emergenten Zustand, der unter sehr
spezifischen physikalisch-chemisch-physiologischen Bedingungen
stammesgeschichtlich entstanden ist und individualgeschichtlich in
jedem Menschen entsteht und bestimmte Eigengesetzlichkeiten
entwickelt. (Seite 371)
(Seitenangaben aus: Gerhard Roth und Nicole Strüber, Wie das Gehirn die Seele macht, Stuttgart, 2014)
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